FAQs - häufig gestellte Fragen
Warum und wie setzt sich Deutschland für den Schutz von Wildpflanzen für Ernährung und Landwirtschaft ein?
Mit der Unterzeichnung des Internationalen Saatgutvertrages und des Übereinkommens über die Biologische Vielfalt hat sich Deutschland verpflichtet, Wildpflanzen für Ernährung und Landwirtschaft in situ, d.h. am Ort ihres Vorkommens, zu erhalten. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat dies im Nationalen Fachprogramm für pflanzengenetische Ressourcen als Handlungsbedarf aufgenommen und arbeitet derzeit daran, ein Netzwerk genetischer Erhaltungsgebiete in Deutschland zu etablieren.
Die Erhaltung der Artenvielfalt und des Nutzungspotentials sind ein wichtiges gesellschaftliches Ziel. Deshalb arbeiten Naturschutz und Landwirtschaft bei der Erhaltung dieser genetischen Ressourcen zusammen.
Wieso wurde ausgerechnet der Wildsellerie für ein Netzwerk genetischer Erhaltungsgebiete ausgewählt?
Der Wildsellerie wurde aufgrund einer Kombination von Kriterien ausgewählt, die ihn zu einem hervorragenden Modellobjekt für ein Modell- und Demonstrationsvorhaben machten. Dazu zählte, dass in Deutschland vier Wildselleriearten vorkommen. Sie sind die wildlebenden Verwandten des Kulturselleries, den wir als Knollen-, Blatt- oder Staudensellerie kennen und z. B. im Suppengrün oder als Gewürz verwenden. Grundsätzlich können Wildpflanzen vererbbare Eigenschaften enthalten, die in der verwandten Kulturpflanzenart nicht vorhanden sind. Sie sind für die Züchtung eine unverzichtbare Ressource um Kulturpflanzen an sich verändernde Produktionsbedingungen anzupassen und unsere Ernährung zu sichern.
Weiterhin erstrecken sich die Verbreitungsareale der vier Wildselleriearten über ganz Deutschland, so dass bundeslandspezifische Besonderheiten bei der Einrichtung genetischer Erhaltungsgebiete zum Tragen kamen. Die vier Wildselleriearten sind deutschlandweit gefährdet. Darunter befindet sich auch eine stark gefährdete Art, wie der Wildsellerie Helosciadium repens. Für die Planung und Durchführung artspezifischer Pflegemaßnahmen liegen ausreichende Informationen zur Biologie der Arten vor. Zudem gibt es erste Erfahrungen aus Maßnahmen zur Wiederansiedlung bzw. zur Erhöhung der Populationsgröße bei H. repens.
Was ist ein „genetisches Erhaltungsgebiet"?
Als genetisches Erhaltungsgebiet bezeichnet man eine Fläche, welche für das Management und Monitoring der genetischen Vielfalt einer Pflanzenart in ihrem natürlichen Lebensraum ausgewiesen wird. Die für genetische Erhaltungsgebiete ausgewählten Vorkommen repräsentieren zusammen die innerartliche Vielfalt der Art und bilden in ihrer Gesamtheit das Netzwerk genetischer Erhaltungsgebiete.
Modell eines genetischen Erhaltungsgebietes: Ein Gebiet beinhaltet die Wuchsflächen der Zielart, die Migrationsflächen und die Übergangsfläche. In der Wuchsfläche sollen für dasZielvorkommen möglichst ideale Wuchsbedingungen geschaffen oder erhalten werden. Die Migrationsfläche wird durch die an die Wuchsfläche angrenzenden Standorte gebildet, die geeignet sind um von der Zielart besiedelt zu werden, damit sich das Vorkommen vergrößern oder aufgrund von Veränderungen der Wuchsbedingungen verschieben kann. Idealerweise wird die Migrationsfläche in einer Weise unterhalten oder genutzt, die die Besiedlung durch die Art ermöglicht. Die Wuchs- und Migrationsflächen werden von einer Übergangsfläche umgeben. Sie wird von sämtlichen potenziell zur Besiedlung durch die Zielart geeigneten Biotoptypen gebildet, die sich innerhalb der Ausbreitungsdistanz des Zielvorkommens befindet, sowie den sich dazwischen befindenden Bereichen. Idealweise erfolgt die Unterhaltung oder Nutzung der Übergangsflächen in einer Weise, die die Migration der Zielart, insbesondere den Transport von Diasporen, nicht verhindert.
Weshalb bedarf es der Einrichtung dieser Gebiete? Werden diese nicht auch durch den Naturschutz abgedeckt?
Bei genetischen Erhaltungsgebieten stehen die Sicherung pflanzengenetischer Ressourcen für die Züchtungsforschung sowie ein erleichterter Zugang zu diesen Ressourcen im Vordergrund. Aus diesem Grund soll der Erhaltungszustand der Zielarten-Populationen beobachtet und Saatgut gesammelt werden. Das Saatgut wird in einer Genbank eingelagert und kann von dieser nach den international gültigen Regeln für Forschung und Entwicklung abgeben werden. In einem GenetischenErhaltungsgebiet wird systematisch die In-situ- mit der Ex-situ- Erhaltung kombiniert.
Genetische Erhaltungsgebiete werden prioritär für Wildpflanzen für Ernährung und Landwirtschaft eingerichtet. Dazu gehören auch gefährdete Arten, die nicht bereits im Fokus des Artenschutzes stehen, wie zum Beispiel der Knotenblütige Sellerie. Insbesondere für Vorkommen dieser Arten stellt die Einrichtung Genetischer Erhaltungsgebiete einen Mehrwert dar.
Voraussetzung für die Sicherung der genetischen Ressourcen ist die Erhaltung der innerartlichen Vielfalt, also der Vielfalt an Genvarianten und Genotypen, die für die Merkmalsausprägungen innerhalb einer Art und für ihre Anpassungsfähigkeit an Umweltbedingungen relevant sind. Aufgrund von Ressourcenknappheit steht im praktischen Naturschutz die Erhaltung der Ökosystem- und Artenvielfalt im Fokus – nicht jedoch die der innerartlichen Vielfalt.
Hat die Einrichtung genetischer Erhaltungsgebiete rechtliche Konsequenzen für die Nutzung der Gebiete?
Genetische Erhaltungsgebiete stellen keine rechtliche Schutzgebietskategorie dar. Sie basieren auf einer freiwilligen Zusammenarbeit zwischen einer zentralen Wissenschaftseinrichtung (der Fachstelle) und den lokalen Akteuren (z. B. Flächeneigentümern, Naturschutzbehörden und –vereinen). Falls eine Nutzungsanpassung oder entsprechende Pflegemaßnahme für die Erhaltung des Vorkommens erforderlich sein sollte, klärt die Fachstelle gemeinsam mit den lokalen Akteuren, ob eine Umsetzung möglich ist. Ein Zwang besteht in keinem Fall.
Wie steht es um die Wildselleriebestände in Deutschland?
Die Wildselleriearten in Deutschland sind der Echte, der Kriechende, der Knotenblütige und der Flutende Sellerie. Insgesamt sind die vier Wildselleriearten in Deutschland gefährdet, da es nur eher kleine und zu wenige Bestände gibt.
Die Arten kommen in feuchten bis nassen Habitaten vor, sind lichtbedürftig und konkurrenzschwach. Die Vorkommen existieren i. d. R. nur, weil natürliche Störungen (z. B. Trampelpfade von Wildtieren) oder z. B. eine Beweidung die konkurrenzstärkeren Arten zurückdrängen. Bei vielen Wildselleriebeständen sind solche Effekte aber nicht ausreichend, so dass die Bestände sehr klein bleiben und sogar erlöschen könnten. Bei Präsenzkontrollen im Jahr 2015 konnte noch ein Großteil bekannter Vorkommen bestätigt werden. Dies gilt nicht für den Flutenden/Untergetauchten Sellerie, der überwiegend bei kleinen Tümpeln im Nordwesten Deutschlands vorkommt. Diese Art konnte nur an ca. der Hälfte der ursprünglichen Fundorte wiedergefunden werden. Ein möglicher Grund dafür ist, dass Kleingewässer mitunter zuwuchern, da sie nicht mehr unterhalten werden, und sich mit Nährstoffen anreichern.
Gibt es Querverbindungen zur Ex-situ-Erhaltung von Wildsellerie?
Von den Vorkommen sollen jeweils kleine Mengen an Saatgut gesammelt und in der Genbank für Wildpflanzen für Ernährung und Landwirtschaft eingelagert werden. Dabei handelt es sich um Sicherheitskopien der genetischen Ausstattung der Populationen zum Sammelzeitpunkt. Ein Teil der Saatgutproben soll auch nutzbar sein, z. B. für Wiederansiedlungen oder für die Züchtungsforschung. Die Genbank erleichtert Nutzern den Zugang zu den genetischen Ressourcen, ohne die Wildpopulationen zu gefährden.
Wieso braucht es die In-situ-Erhaltung neben der Ex-situ-Erhaltung?
Um Ökosysteme langfristig und effizient zu erhalten, müssen Arten in ihrer innerartlichen Vielfalt gesichert werden. Nur wenn ausreichend Diversität vorhanden ist, können die Arten auf Umweltveränderungen (z. B. Klimawandel-bedingt längere Trockenperioden) durch genetische Anpassung reagieren. Die Erhaltung der gesamten innerartlichen Diversität ex situ wäre zu ressourcenintensiv und ist daher nicht möglich.
Der Fokus liegt deshalb auf der In-situ-Erhaltung. Die Erhaltungstechnik „Genetisches Erhaltungsgebiet“ kombiniert die Ex-situ-Erhaltung mit der komplementären In-situ-Erhaltung: Zum einen findet die Sicherung eines statischen Musters der innerartlichen Vielfalt in der Genbank statt, zum anderen wird die kontinuierliche Anpassung von sich fortpflanzenden Populationen an sich verändernde Habitatbedingungen ermöglicht. Die In-situ-Erhaltung ist damit, im Gegensatz zur Ex-situ-Erhaltung, dynamisch orientiert.
Könnten die Wildselleriearten in irgendeiner Weise in Zukunft züchterisch eine Rolle spielen?
Die Anbaufläche von Sellerie in Deutschland ist mit ca. 2.000 ha zwar vergleichsweise klein und der Verbrauch mit ca. 1 kg pro Kopf eher gering. Dennoch betragen die Verkaufserlöse der Erzeugermärkte jährlich fast 10 Mill. €.
Das Interesse der Züchtungsforschung bezieht sich vor allem auf vorhandene Krankheitsresistenzen. Ein weiteres Interesse besteht darin, das Allergenpotenzial des Kulturselleries zu senken. Sellerie ist in Lebensmitteln aufgrund eines hoch wirksamen Allergens deklarationspflichtig. Für Züchter kann die Suche nach allergenfreien oder allergenarmen Populationen oder Individuen interessant sein.
Für die Zukunft könnte eine weitere Option darin bestehen, die nicht domestizierten Wildarten nicht nur als Genressourcen für den Kultursellerie zu nutzen, sondern diese Arten selbst anzubauen, wenn sie Eigenschaften haben, die sich künftig für die Landwirtschaft oder die Verbraucher als vorteilhaft erweisen.